NICOSCH – AUFKLÄRER IM „KANINCHENBAU“
WIE DER MITARBEITER EINES ABSCHLEPPDIENSTES IN SEINER FREIZEIT GEGEN „FAKE NEWS“ IM INTERNET ARBEITET
Nicosch heißt er, ist 40 Jahre alt, lebt in der Kleinstadt Nauen in Brandenburg und hat auf TikTok beinahe 45.000 Follower sowie 445.000 Likes. Sein Umfeld weiß davon kaum etwas. In Zeiten zunehmender Desinformation und Verschwörungsmythen setzt er sich in seiner Freizeit gegen deren Verbreitung ein und zieht damit ein recht großes Publikum an. Was ihn antreibt, wie er auf die Ideen für seine Videos kommt und was man gegen die zunehmende Radikalisierung tun kann, darüber habe ich mit ihm gesprochen.
Dieser Beitrag ist die Republikation eines Artikels vom 10. November 2022 auf Ostprog.de
Nicosch arbeitet als Kraftfahrer bei einem Abschleppdienst. „Ich mache den ganzen Tag nichts anderes als aus dem Fenster gucken und am Rad drehen. Also am Lenkrad“, fügt er scherzhaft hinzu. Er war in seinem Beruf früher viel im Ausland unterwegs. Nachdem er seine Ausbildung am Bodensee absolvierte, kehrte er zurück in seine Heimat Brandenburg. Fast zwei Dekaden ist das nun her.
Ob in seinen Videos oder im direkten Gespräch. Nicosch ist Nicosch. Unverstellt. „Ich rede meistens so wie mir das Maul gewachsen ist, um es mal ganz salopp zu sagen. Damit schaffe ich es, wenn ich Glück habe, dass Leute sich selbst hinterfragen. Ich möchte sie schon überzeugen, aber ich kann es nicht. Wie macht man es? Ich habe selbst auch kein Allheilmittel dafür.“
Als im Jahr 2015 die sogenannte „Flüchtlingskrise“ begann, stellte er eine zunehmende Welle an Intoleranz in sozialen Medien sowie seinem Bekanntenkreis fest. „Hier in meiner kleinen Stadt kam die NPD mit den wildesten Theorien um die Ecke. Und ich habe mir das eben angesehen und widerlegt.“ Damals noch auf Facebook.
Eines Morgens wurde in den sozialen Netzwerken seiner kleinen Stadt etwa ein falsches Gerücht über einen dort lebenden Polen gestreut. Ausgegangen sei dies von der NPD. Am Abend stand das Auto des Mannes in Flammen.
Nur einer von vielen Vorgängen in der Stadt, für den ein NPD-Abgeordneter schließlich verurteilt wurde, wie der Tagesspiegel berichtete. Unter anderem hatte der damals Angeklagte Feuer an einer als Flüchtlingsunterkunft geplanten Turnhalle gelegt. Inhaltlich, so Nicosch, nehmen sich die AfD und NPD in seiner Stadt nichts. „Die sind eins“, so sagt er.
Nachdem die NPD an Bedeutung verlor, tauchte im benachbarten Rathenow ein rechtes Bürgerbündnis auf. Auch mit diesem setzte sich Nicosch auseinander. Auf Facebook gründete er dafür die bis dahin anonyme Seite „Fragen an besorgte Bürger“. Nicosch arbeitet allein. Auch bei diesem Projekt.
„ICH KANN NICHT ZUSEHEN, WENN JEMAND QUATSCH ERZÄHLT“
In seinem Bekanntenkreis nahm Nicosch zum damaligen Zeitpunkt die zunehmende Verbreitung von Falschinformationen wahr. Einige von diesen Bekannten nahm er daraufhin mit zu einer Unterbringung für Geflüchtete. „Ich habe mit ihnen geredet und gezeigt, wie es da wirklich aussieht.“ Beobachtungen aus dieser Zeit teilte er später auch in seinem Blog mit dem Titel „Hinterhofgedanken“.
„Lässt du eine Aussage so stehen und du weißt, sie ist falsch: Der nächste glaubt es, der trägt es weiter, der nächste glaubt es und trägt es weiter und so hast du irgendwann eine Aussage, die zur ‚Wahrheit‘ wird, obwohl es völliger Quatsch ist. Aber in den Köpfen der Menschen bei der zehnten Potenz wird es dann zur Wahrheit.“ Weiter sagt er: „Ich nenne es ‚Quatsch‘, weil es ‚Quatsch‘ ist. Das passt vielleicht vielen nicht, aber es geht mir nicht darum berühmt zu werden.“
Nur wenige Personen aus seinem Umfeld wissen überhaupt von seinem Hobby, so Nicosch. TikTok sei in Nauen nicht besonders bekannt und auch in seinem direkten Bekanntenkreis eher unbekannt. „Wenn sie es herausfinden ist das auch in Ordnung, aber ich gehe damit nicht hausieren.“
Doch der Einsatz gegen Desinformation hat auch Schattenseiten. Sein Name landete auf mehreren Feindeslisten, erzählt er mir. Darunter auch der bekannten Nordkreuz-Liste, die von einer rechtsextremen Gruppierung geführt wurde. „Das hat im Endeffekt auch dazu geführt, dass ich mit dem Staatsschutz zusammenarbeiten musste. Auf einer Plattform von Rechten wurde meine Adresse und meine Daten veröffentlicht. Der Staatsschutz wollte sichergehen, dass ich noch lebe.“
Angst hat Nicosch jedoch nicht. „Lieber sterbe ich dann so als im Altersheim mit Windeln. Nein, ich habe keinen Todeswunsch. Ich wurde oft bedroht in den letzten Jahren. Habe ich überhaupt kein Problem mit. Bis jetzt ist noch nie was passiert. Das waren immer diese bellenden Hunde.“
Zu groß dafür ist sein Antrieb Dinge zu korrigieren. Er führt sein starkes Gerechtigkeitsempfinden auch auf sein Asperger-Syndrom zurück. „Das wirkt sich dadurch aus, dass ich nicht zusehen kann, wenn jemand Quatsch erzählt und dann muss ich das auch irgendwie richtigstellen.“ Und er unterstreicht: „Ich bin ja dadurch kein anderer Mensch, nur weil ich Asperger habe.“
QUANTENHEILUNG, QANON, QUERDENKEN
Im Zuge der Pandemie legte sich Nicosch schließlich im Juni 2020 einen Account beim sozialen Netzwerk TikTok zu. Zu Anfang veröffentlichte er Videos zu ganz unverfänglichen Themen oder zeigte Eindrücke aus seinem Berufsleben. Doch ab ungefähr Ende 2021 beschäftigte er sich immer mehr mit ernsteren auch politischen Themen. Im ersten Video dieser Art ging es um eine Webseite des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Dazu gesellte sich im Herbst dann immer mehr Content über Verschwörungsmythen, Reichsbürger, Querdenken, QAnon und Sekten.
Mittlerweile ist Nicosch unter anderem auch auf YouTube und Twitter unterwegs. Die Hackerin N3ll4 („Nella“) stellte ihn auf Twitter im September dieses Jahres erstmals einem größeren Publikum vor. „Ich bin auch kein Mensch, der die Bühne sucht.“ Ihm gehe es nicht um die Aufrufzahlen und: „Das ich jetzt hier auf TikTok oder auf YouTube so vor der Kamera stehe, war extreme Überwindung. Ich hätte es am liebsten gelassen.“
Auf sein Video zum Gerät „Healy“ ist Nicosch besonders stolz. Für die aufwendige Recherche arbeitete er mit Personen aus verschiedenen Fachgebieten zusammen, darunter der Hackerin N3ll4, dem Ingenieur eMu_fake sowie dem Biologen Bissiges Mäuschen. Das Gerät wird von einer Firma als Zusatzbehandlung für beispielsweise Depressionen angeboten, basiert jedoch auf einer Methode, deren nutzen nicht wissenschaftlich erwiesen ist und kostet bis zu mehrere tausend Euro. „Homöopathie – aber digital!“, so der Titel seiner Recherche.
Sein Account auf TikTok wurde zu Beginn regelmäßig gesperrt. In dieser Zeit kommentierte Nicosch vorwiegend die Videos anderer Personen. „Man sieht auch mir – von dem Zeitpunkt wo ich kommentiere und wo ich nicht mehr kommentiere – einen gewissen Wandel an, wie ich rede und wie ich versuche Sachen rüberzubringen. Nicht mehr so persönlich.“
Das Problem sowohl bei QAnon als auch Querdenken sieht er unter anderem darin, „dass die den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht beachten. Korrelation ist ja das zufällig zwei Sachen nebeneinander geschehen und Kausalität ist: Diese Sache resultiert aus dieser Sache. Und diese Unterscheidung wird nicht gemacht.“
Er zitiert im Gespräch darüber den Podcaster Holger Klein: „Wer bereit ist, den einen Scheiß zu glauben, ist irgendwann auch bereit, jeden anderen Scheiß zu glauben.“
Im Februar dieses Jahres besuchte er eine Montagsdemonstration, um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen: „Mir ist direkt aufgefallen: Das ist von der NPD gesteuert. Da sind auch NPD-Organisatoren. Neben der AfD, die auch immer in der ersten Reihe dabei ist.“ Doch auch die lokale CDU sowie die Freien Wähler orientieren sich ihm zufolge zu sehr an der AfD.
INSPIRATION: TELEGRAM
Fachliteratur oder Bücher nutzt Nicosch für seine Arbeit nicht. „Meine Bibliothek umfasst derzeit 14 Bücher und 6 davon sind von Stephen King. Ich habe keine direkten Bücher dazu gelesen oder Filme dazu geschaut. Es sind immer wieder so Bruchstücke, die dann ein Ganzes ergeben.“ Ihm genüge es für seine Recherchen Kreuzvergleiche zwischen verschiedenen Quellen anzustellen. Im Zweifel lässt er Themen auch fallen. So sagt er: „Es gibt auch immer Fälle, wo ich am Ende etwas nicht verifizieren kann oder nur seltsame Quellen finde.“
Seine Ideen für die Videos entnimmt er vor allem einer Telegramgruppe seiner Stadt. „In einem geteilten Video hat ein Typ einen Wurm aus dem Wasser gezogen und hat erstmal geguckt ob der Wurm Bluetooth hat und ihn dann angeblich bei 800 Grad gebacken und auseinandergeschnitten und sich dann gewundert, dass er sich nicht mehr bewegt.“
So kam er auch zu seinem Video über Sekten, in dem auch der Esoteriker Thomas G. Hornauer eine Rolle spielt. Hornauer folgt Nicosch seit diesem Video auf TikTok. „Ich freue mich total darüber“, merkt Nicosch leicht sarkastisch an und ergänzt: „Der will jetzt von mir, dass ich in einem Live-Stream von mir sich ihm stelle. Habe schon überlegt, ob ich das mache, dann aber eher zu meinen Konditionen auf meiner Plattform.“
In der Frage wem und wie man eine Plattform gibt, sieht Nicosch auch einen wichtigen Grund für die zunehmende Radikalisierung. Bezogen auf die Zeit der Flüchtlingskrise stellt er fest: „Für mich war es der Punkt, als man gesagt hat, wir müssen mit ihnen reden. Man hat sie also auf eine Stufe gehoben, auf die sich nicht gehören. Man hat ihre Sorgen und Ängste ernstgenommen.“ Doch nicht die Annahme der Sorgen und Ängste seien das Problem, so sagt er.
„Man hat ihnen nicht gesagt: ‚Hör zu, wir können gerne reden, aber was du erzählst ist Quatsch.‘ Man hat ihnen eine Plattform geboten und diese Aussagen nicht eingeordnet. Man hat sie einfach stehen lassen. Und das war das Problem. Dadurch haben sie sich bestärkt gefühlt, dass das was sie erzählen ja wichtig sein muss und richtig.“
Und er fügt hinzu: „Auch meine Aussagen sind immer nicht zu 100% richtig und ich bitte darum, dass man auch meine Aussagen einordnet.“
WEGE AUS DEM „KANINCHENBAU“
Nicosch vergleicht den Übergang von Mahnwachen zu PEGIDA – bis hin zu Querdenken – mit der britischen Serie Doctor Who. In jeder neuen Staffel wird der namensgebende „Doktor“ von einem anderen Schauspieler ersetzt. Ähnlich sei es mit dem Personal und den ideologischen Hintergründen dieser Bewegungen, argumentiert er.
Wohin geht es in Sachen Radikalisierung? Immer weiter in den Kaninchenbau und hin zu Verschwörungsmythen wie etwa QAnon sie verbreitet? Auf die Frage hin, was man denn konkret tun könnte, um gegen diese gesellschaftlichen Prozesse anzukommen, entfährt ihm die Antwort ohne langes Nachdenken: Kultur.
„Das Problem mit dem Hinterland. Der Ecke der Republik, wo nicht viele Menschen sind. Wir haben hier nicht besonders viel Kultur. Und schon gar kein Kulturangebot für Jugendliche, für junge Menschen, für die Leute generell. Wir haben hier auch das Problem, dass die Leute wenig Kultur wollen.“
Ein Bekannter von Nicosch ist DJ und habe ihm einmal erzählt, dass die Leute in seiner Gegend wenig offen seien für neue Ideen.
„Mit neuen Ideen bist du schnell woanders. Da bist du der Aussätzige. Die Leute wollen damit nicht viel zu tun haben. Wir sehen es doch an großen Städten. Überall da wo viele Kulturen aufeinandertreffen, gibt es wesentlich mehr Toleranz dem anderen gegenüber. Gibt es Leute, die sich dafür interessieren. Und das Interesse an anderen Sachen ist so unglaublich wichtig. Da wo keine Kultur ist, wirst du auf Intoleranz, wirst du auf Abneigung, wirst du auf Ablehnung treffen. Und das ist überall im ländlichen Raum – auch in Brandenburg – ein großes Problem.“
Er sorgt sich, dass mangelnde kulturelle Vielfalt und Angebote in diesen Gegenden zu einem „Lokalismus“ führt, wie er es nennt, der irgendwann im Nationalismus enden könnte. „Und deshalb sage ich – ich habe keine Ahnung wie – aber es muss mehr Kultur in den ländlichen Raum.“
Vor Jahrzehnten war Nicosch auch als Mitglied im Verein Mikado in Nauen aktiv. „Da wurde viel mit Kultur gearbeitet und mit Jugendförderung. Gerade wenn du die Jugend beschäftigst, aus ihrer Gedankenwelt rausholst und ihnen zeigst: ‚Wie sieht die Welten da draußen aus. Was kannst du mit dieser Welt machen?‘ Das wurde in diesem Verein gemacht.“
Er beklagt das konservative Parteien Streetwork und Sozialarbeit viel zu sehr vernachlässigt hätten. Die Aufgaben des Vereins seien schließlich an einen kirchlichen Träger übergegangen.
„Streetworker musst du über ein Jahrzehnt laufen lassen, damit sich was zeigt, aber dann zeigt es sich richtig. Das haben die hier immer nur über ein halbes Jahr gemacht, aber dann haben sie gemerkt: ‚Kostet halt nur und zeigt sich erstmal nicht viel.‘ Du kannst aber nicht mit nur einem Streetworker erwarten, dass er 1000-2000 Jugendliche direkt erreicht. Aber das wollte man nicht sehen. Man wollte nur Geld sparen.“
NICHT NUR EIN „RANDOM DUDE AUS DIESEM INTERNET“
Um offen für neue Ideen zu bleiben empfiehlt Nicosch abschließend, sich selbst aktiv mit anderen Perspektiven zu beschäftigen. „Das Problem ist Leute leben gerne in ihrer Bubble. In ihrer Blase. Und damit meine ich jetzt nicht nur die Rechten, nicht nur die Querdenker, nicht nur die Linken, sondern alle. Jeder hat so seine eigene Blase in der er lebt und die ihm gefällt. Aber das ist die Komfortzone, aus der man ab und zu einfach ausbrechen muss.“
Es ginge ihm dabei nicht darum das sich nun andere „irgendwelchen Mist im Internet“ anschauen sollten, sondern darum, sich selbst zu erden. Einem Motto dem der neugierige Nicosch auch selbst treu bleibt.
Etwa auf Twitch, wo er jeden Sonntag live streamt. „Das ist der einzige Tag in der Woche, wo ich grundsätzlich Zeit und Lust habe mich mit nichts zu beschäftigen. Das erste Ding was ich jetzt planen, ist das Gespräch mit einer Domina. Ich will mich mit ihr unterhalten und verstehen was sie so macht und warum sie es macht. Wie sieht so ein Berufsalltag wirklich aus?“
Darin liegt auch ein weiterer Grund für sein Engagement in den sozialen Medien: Der Ausbruch aus dem monotonen Alltag als Kraftfahrer und seiner eigenen Blase. „Um mein Gehirn ein bisschen zu fordern, sitze ich dann da und schaue mir in Telegrammgruppen an, was die so erzählen. Das ist mein Ausbrechen aus der Blase.“
Und daran sieht man schon, dass Nicosch eben nicht einfach nur ein „random dude aus diesem Internet“ ist, wie er sich selbst etwa auf TikTok beschreibt. Er ist jemand, dem es um schonungslose Ehrlichkeit und Offenheit geht. Vor allem sich selbst gegenüber.