
Mit beharrlicher Regelmäßigkeit arbeitet die WELT-Redaktion an der Mythenbildung um die ehemalige No-Covid-Initiative. Auch zwei medial aktive Corona-Experten stimmen bereits seit längerem in diesen Chor ein. Das Problem: Bei einem genaueren Blick fällt die Erzählung in sich zusammen.
Vor etwa zwei Jahren stellte eine Gruppe von deutschen Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen eine Strategie zum Umgang mit der Pandemie vor. „No-Covid“ nannte sich der Ansatz, der vom theoretischen Physiker Yaneer Bar-Yam inspiriert und damals auch in der ZEIT und verschiedenen weiteren Medien besprochen wurde.
Vierzehn Wissenschaftler:innen unterschiedlichster Disziplinen wollten damals einen Beitrag zur Pandemiebewältigung in Deutschland
leisten. Selbsterklärtes Ziel war es unter anderem für Deutschland eine Inzidenz von unter 10 auf 100.000 Einwohner pro Woche zu erreichen, so hieß es im Deutschlandfunk.
Spätestens seit der Verbreitung der Delta-Variante und der vorangeschrittenen Impfkampagne war den Beteiligten offensichtlich klar, dass eine Umsetzung der Strategie nicht mehr realistisch ist. Politisch gescheitert waren die Vorschläge rückblickend vermutlich schon wesentlich früher.
Damit könnte die Diskussion über No-Covid eigentlich beendet werden, aber nicht für die WELT und auch nicht für einige Corona-Experten, die auch weiterhin eine beeindruckend ausdauernde Faszination für das Konzept zeigen.
Diese Faszination begann bereits mit der Gründung. Nur einen Monat nach der Vorstellung der No-Covid-Initiative im Februar 2021 titelte die WELT: „Wie das Innenministerium einen Mao-Fan zum Corona-Berater machte“. Darin nimmt WELT-Journalist Tim Röhn Bezug auf ein Strategiepapier des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) vom März 2020.
DAS ANGEBLICHE „PANIKPAPIER“ OHNE FANS DER „PANIK“
Das Papier wurde bereits vor der Veröffentlichung kritisiert. Florian Reiter hob für Focus Online die Kritik an der darin enthaltenen Krisenkommunikation hervor, die auf Angst setze. Dieser Teil der Kritik, der später auch im Beitrag von Röhn mitschwingt, ist also nicht neu. ZEIT-Journalist Christian Endt äußerte zum damaligen Zeitpunkt auf Twitter demgegenüber auch Kritik an der Erwähnung des Konzepts „Hammer and Dance“ im Papier. Ähnliche Kritik findet sich zwischen den Zeilen auch in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung.
„Der Ausdruck bezieht sich vermutlich auf einen Artikel, der vergangene Woche auf der englischsprachigen Online-Plattform Medium erschien und viel Aufmerksamkeit erregte. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen wissenschaftlichen Beitrag“, heißt es in dem Artikel zu „Hammer and Dance“. Die spätere Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx sprach damals gegenüber Focus Online davon, dass diese Strategie als die in Fachkreisen effektivste galt.
Im Artikel der WELT vom Februar 2021 wird einer der Beteiligten am Papier kritisiert, der für die Passagen einer „Kommunikation der Angst“ (Tim Röhn) verantwortlich sei: Otto Kölbl. Dieser sei zudem „Mao-Fan“, so behauptet es Röhn. Augenscheinlich anhand seiner eigenen Beurteilungen dazu. Mir gegenüber streitet Kölbl die Vorwürfe ab, ein Mao-Verehrer zu sein und rechtfertigt den im Beitrag verlinkten Tweet, da sich dieser hauptsächlich auf den Aspekt der sozio-ökonomischen Entwicklung unter Mao beziehe.
Röhn geht in seinem Beitrag zudem auf die Rolle von Maximilian Mayer ein. Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik an der Universität Bonn. Im Artikel hebt Röhn einzelne Aspekte besonders hervor. Etwa das Mayer früher in China gelehrt habe, bevor er an die Universität Bonn wechselte. Wenig erstaunlich für einen Wissenschaftler, der sich unter anderem schwerpunktmäßig mit Chinas Außen- und Energiepolitik beschäftigt. Erwähnt wird aber auch – und hier beginnt es relevant zu werden – seine Beteiligung an der No-Covid-Gruppe. Sein Bezug zu Kölbl?
Mayer und Kölbl lernten sich zu Beginn der Pandemie über das Internet kennen und verfassten zusammen das Papier „Lernen von Wuhan – es gibt keine Alternative zur Eindämmung von COVID-19“. Gemeinsam waren beide am Papier des BMI beteiligt. Mayer holte Kölbl nach der ersten Zusammenarbeit auch in die Arbeitsgruppe des BMI.
„Merkel bevorzugt ohnehin einen anderen Ton: In ihren Ansprachen an die Nation appelliert die Bundeskanzlerin vor allem an die Verantwortung der Bürger.“ ~Ronja Bauer für Focus Online
PROBLEME MIT DEM WELT-BILD
Was in Beiträgen der WELT zur Sache unter den Tisch fällt: Weder der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sollen über das Strategiepapier aus dem BMI begeistert gewesen sein, zumindest was die vielfach kritisierte Kommunikationsstrategie angeht. „Merkel bevorzugt ohnehin einen anderen Ton: In ihren Ansprachen an die Nation appelliert die Bundeskanzlerin vor allem an die Verantwortung der Bürger“, so Ronja Bauer für Focus Online.
Doch noch eine wichtige Sache wird nicht erwähnt. Weder Kölbl noch Mayer stehen seit der Arbeit an einem weiteren Papier im April 2020 miteinander in Kontakt. Dies bestätigten mir beide unabhängig voneinander in Hintergrundgesprächen. Laut Kölbl habe es „inhaltliche Differenzen“ gegeben.
Und noch ein Aspekt ist interessant. In dem aktuellsten gemeinsamen Paper vom April 2020 wird auch diskutiert, inwiefern Maßnahmen sich „auf individuelle Freiheiten und Grundrechte“ auswirken. Ebenso stellt man die Frage auf, inwieweit „eine soziale Akzeptanz der Notwendigkeit und des voraussichtlichen Nutzens der Maßnahmen bei unterschiedlichen Gruppen (…) sowie in der Öffentlichkeit“ gegeben ist. Der Titel des Papiers: „Kreativität – Verantwortung – Transformation. Grundlegende Voraussetzungen für die progressive Lockerung des COVID-19 Lockdown“ (Hervorhebung von mir).
NOCH MEHR PROBLEME MIT DEM WELT-BILD
Im Mai vergangenen Jahres folgte ein weiterer Bericht zur Sache in der WELT. Autor ist der Journalist Philipp Mattheis. Er fand heraus, dass Otto Kölbl Geld der chinesischen Regierung erhält. Seit 2014 laufen diese Zahlungen, so räumt Kölbl mir gegenüber ein. Seine Arbeit zu China sei überwiegend ehrenamtliches Engagement für das Land, erklärt Kölbl, der in den Zahlungen keinen Interessenskonflikt sieht. Mayer wusste von diesen Zahlungen nichts, so Kölbl weiter. Dies bestätigt mir auch Mayer, der davon erst durch den Artikel in der WELT erfahren habe.
Auch im Beitrag von Mattheis sucht man vergeblich nach einer Erwähnung der offensichtlich frühen Entfremdung zwischen beiden Personen, obwohl der Journalist laut eigenen Angaben ein längeres Hintergrundgespräch mit Mayer führte und auch mit Kölbl in einen Dialog trat. Kölbl habe dies – soweit er sich erinnern könne, sagt er – jedoch thematisiert. Auch Mayer gibt an den Bruch gegenüber Mattheis angesprochen zu haben. Warum diese relevante Einordnung im Beitrag nicht erwähnt wird, hat der Journalist Mattheis mir gegenüber auf Nachfrage bisher nicht beantwortet.
Mattheis gibt in seinem Beitrag eine ebenfalls lange zurückliegende und eigentlich unspektakuläre Tatsache wieder. So regte Mayer im März 2020 via Twitter einen Austausch zwischen Zhong Nanshan und Christian Drosten an. Der Austausch verschiedener Experten zu Beginn einer weltweiten Pandemie erscheint nicht ungewöhnlich. Nanshan galt für einige in der Zwischenzeit als „der Christian Drosten Chinas“, so heißt es in einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) in der ZEIT vom November 2020.
Nanshan hat mittlerweile nicht mehr länger ein makelloses Image. Retraction Watch soll nach eigenen Angaben im Mai 2021 herausgefunden haben, dass dieser einen wirtschaftlichen Interessenskonflikt verheimlich habe. Doch im März 2020 als Mayer den Dialog anregte, war Zhong Nanshan vom Vorwurf der Parteihörigkeit frei. Im Gegenteil. Laut Economist vom Januar 2020 verdiente dieser sich Anerkennung, weil er die offizielle Linie zur Pandemie öffentlich in Frage stellte.
ENTGRENZUNG DER EIGENEN ERZÄHLUNG
„Das Scheitern der totalitären No-Covid-Idee – und das Schweigen ihrer Verfechter“, so dann schließlich der Titel eines Meinungsbeitrags von Frank Lübberding für die WELT vom Dezember 2022. Ehemalige Vertreter:innen von No-Covid werden darin in die Nähe der chinesischen Coronapolitik gerückt. In nahezu verschwörerischer Weise spricht Lübberding zudem von einer „konzertierte[n] PR-Kampagne“. Maximilian Mayer erwähnt im Gespräch mit mir, dass man damals selbst überrascht war vom medialen Zuspruch.
Für ihn erklärt sich die anfängliche Resonanz der Medien durch damals fehlende Alternativen einer Pandemiestrategie. Gerade der multidisziplinäre Ansatz von No-Covid sei ihm zufolge dabei offensichtlich hilfreich gewesen. Auch Lübberding wärmt die in seinem Haus erzählte Geschichte um Kölbl und Mayer auf.
Geteilt wurde der Meinungsbeitrag zu No-Covid auf Twitter auch von Klaus Stöhr, der als Experte für Corona in Medien auftritt. Er scheint nicht der einzige zu sein, der sich an den Erzählungen der WELT in der Sache orientiert.
Der Experte für Arbovirologie und Entomologie – Jonas Schmidt-Chanasit – engagierte sich bei der Verbreitung dieser Lesart ebenfalls aktiv. Er brachte Kölbl in der Vergangenheit direkt in Verbindung mit einer angeblichen „#NoCovid Dystopie [sic!]“. Die Wortwahl erinnert an eine Kolumne des WELT-Journalisten Andreas Rosenfelder. Das Problem: Kölbl war am Ansatz nicht beteiligt, stand laut übereinstimmender Aussagen vor der Veröffentlichung von No-Covid seit vielen Monaten in keinem Kontakt mehr mit Mayer und hielt die Idee – so sagte er es mir gegenüber sinngemäß – schon damals für nicht realisierbar oder sinnvoll.
In einem anderen Fall griff Schmidt-Chanasit No-Covid Mitbegründer Matthias F. Schneider an.
Aus dem von Schneider verlinkten Artikel geht klar hervor, dass Länder wie Australien und Neuseeland ihre Strategien zur Pandemiebekämpfung aufgrund der Virusevolution aufgeben mussten. Das erwähnt Schmidt-Chanasit nicht. Unterstellt Schmidt-Chanasit hier, dass sich Schneider oder die No-Covid-Gruppe nicht an die veränderte Situation angepasst hätten, wäre man der Strategie gefolgt? Antworten darauf erhalte ich von Schmidt-Chanasit nicht.
Clemens Fuest – Präsident des ifo Institut für Wirtschaftsforschung und Mitinitiator von No-Covid – grenzte das deutsche Konzept im Gespräch mit der Wirtschaftswoche frühzeitig ab von der deutschen Zero-Covid-Initiative. Auch die Behauptung bezüglich China hat ihre Probleme. So schrieb die Politikwissenschaftlerin Elvira Rosert von der damaligen Initiative auf Twitter mehrfach unmissverständlich:
Die implizite Forderung von Schmidt-Chanasit nach einer Distanzierung von Chinas Pandemiepolitik würde zudem voraussetzen, dass China das direkte Vorbild für No-Covid war. Zwar wird China in einem Dokument vom März 2021 genannt, erwähnt werden dabei jedoch an erster Stelle die Demokratien Australien, Neuseeland und Taiwan.
Ebenfalls erwähnt Schmidt-Chanasit häufig den Ideengeber von No-Covid: Yaneer Bar-Yam. Diesem schreibt er einen offenbar sehr großen Einfluss auf das damalige Konzept und die Initiatoren der No-Covid-Gruppe zu.
Dass Bar-Yam ideengeschichtlich eine Rolle bei der Entwicklung des Konzepts gespielt hat, steht außer Frage. Inwiefern seine vermeintlichen Einstellungen zu Chinas Pandemiepolitik die Einstellungen von Mitgliedern der No-Covid-Gruppe in Deutschland geprägt haben sollen, lässt Schmidt-Chanasit offen. Tatsächlich bezeichnete Bar-Yam China während der Pandemie als direktes Vorbild. Jedoch war dies noch zu Beginn der Pandemie, am 2. März 2020. Ob er weiterhin vorbehaltlos an der Strategie Chinas festhält, beantwortete mir Bar-Yam auf Nachfrage bisher nicht.
Weiter behauptet Schmidt-Chanasit, dass Bar-Yam No-Covid in Deutschland „vertritt“ und Veranstaltungen besucht sowie Vorträge gehalten hätte. Quellen für diese Behauptungen nannte mir der Virologe auf Nachfrage nicht. Korrekt ist, dass Bar-Yam als externer Berater an einem Teil des deutschen Konzepts mitgewirkt hat. Als einer von vier weiteren externen Beratern aus Neuseeland, Australien, Litauen und Frankreich. Etwa 40 Personen waren insgesamt an diesem Teil der deutschen No-Covid-Strategie beteiligt. Bar-Yam war nur einer davon.
Einzelne Mitglieder der Autor:innen-Gruppe gaben auf Rückfrage an, dass sie Bar-Yam weder persönlich noch virtuell kennen und nicht alle seiner Aussagen teilen. Der Physiker und Biologe Dirk Brockmann war an der deutschen No-Covid-Gruppe beteiligt. Er kennt Bar-Yams Arbeit als Wissenschaftler seit vielen Jahrzehnten.
Inhaltlich sei Bar-Yam nur an der Zonen-Strategie beteiligt gewesen. „Er spielte dabei eine Rolle, aber viele andere eben auch“, so Brockmann. „Es gab da ein Netzwerk von Leuten – unter anderem in der amerikanischen Szene der Komplexitätsforschung – die die Idee des schnellen Reagierens verstanden haben.“ Auf den Vorwurf von Jonas Schmidt-Chanasit antwortet Brockmann: „Selbst von Physikern wie Stephen Hawking teile ich nicht jede Aussage. Das gilt auch für Yaneer Bar-Yam, von dem ich auch nicht jede Äußerung kenne, die er in der Öffentlichkeit tätigt.“
Die Behauptung von Schmidt-Chanasit, dass Bar-Yam No-Covid in Deutschland „vertritt“, teilt Brockmann nicht.

„CORONA-STRATEGIE“ FUNKTIONIERT NUR MIT GEGENSPIELERN?
Am 21. Januar 2021 findet sich die erste öffentliche Kritik von Jonas Schmidt-Chanasit an No-Covid, mit Hinweis an seinen Kollegen Klaus Stöhr. Nur wenige Wochen später ging die Homepage der Arbeitsgruppe „Corona-Strategie“ online, an der die beiden beteiligt sind.
Das Konzept der Gruppe damals? Man wollte auf Verhältnismäßigkeit setzen und prognostizierte ein Pandemieende für Deutschland „gegen Anfang 2022“. Die Pandemie sei ein „Naturereignis“, hieß es da.
Woher die starken Meinungen von Schmidt-Chanasit zu No-Covid stammen, ist unklar. Interessant ist, dass der Virologe – noch vor Erscheinen von No-Covid – den „Contain COVID-19“-Aufruf, an dem auch die spätere No-Covid-Mitinitiatorin und Virologin Melanie Brinkmann beteiligt war, mit einer nachträglichen Unterschrift unterstützte.
Der Aufruf wurde in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet publiziert und zielte unter anderem auf eine Begrenzung auf 10 neue Fälle je Millionen Menschen in europäischen Staaten ab. Auf Nachfrage des Journalisten Lars Wienand wusste Schmidt-Chanasit nichts von der Zahl.
Zur Rechtfertigung der Unterschrift veröffentlichte er auf Twitter noch den Auszug einer Mail-Konversation mit der „Contain COVID-19“-Mitinitiatorin und Epidemiologin und Physikerin Viola Priesemann. Darin spricht diese von einer Veröffentlichung für „Science“, nicht „The Lancet“, liefert jedoch auch einen Link zum Aufruf mit. Die damals verlinkte Webseite spricht eindeutig von „The Lancet“ und verlinkt zusätzlich auf den Aufruf, der die entsprechende Zahl beinhaltet.
Auf Anfrage bestätigte mir Viola Priesemann, dass es sich ihrerseits um eine unbeabsichtigte Fehlbezeichnung handelte. „Es gab kein Paper in Science, nur in The Lancet. Es bestand also keine Verwechslungsgefahr. Wichtig: Vor allem ist der Link eindeutig gewesen. Es gab damals nur ein Statement (unser erstes)“, so Priesemann, die nicht Teil der deutschen No-Covid-Gruppe war.
Als interessante Randnotiz: Der von Schmidt-Chanasit unterschriebene Aufruf beinhaltete bereits am 19. Dezember 2020 als erste Quelle zu weiteren Hintergrundinformationen einen Link auf das „End Coronavirus“-Konzept von Yaneer Bar-Yam. Ob er diesen Abschnitt aber überhaupt gelesen hat, wenn er bis dahin davon auszugehen schien einen Aufruf in „Science“ unterschrieben zu haben, ist jedoch fraglich. Hierzu hat sich Jonas Schmidt-Chanasit mir gegenüber auf Anfrage bislang nicht weiter geäußert.
Schmidt-Chanasit kämpfte gegen ein vermeintliches Unrecht. Eine „Dystopie“, wie er es nannte. Wen das „wir“ in seinem obigen Tweet beinhaltet, dazu will er sich ebenfalls bislang nicht äußern. Geteilt wurde der Tweet zumindest von niemand geringerem als Dirk Jacobs. Chef vom Dienst und Moderator beim ZDF-Morgen- und Mittagsmagazin.
DER DISKURS ALS PROJEKTIONSFLÄCHE?
Während in der WELT immer wieder die offensichtlich tendenziöse Geschichte um Mayer und Kölbl aufgewärmt wird, haben andere Medien bis heute kaum aufgearbeitet, was es mit der Unterstützung durch zahlreiche Mitglieder der Arbeitsgruppe um Schmidt-Chanasit für die Initiative Familien auf sich hatte. Einem Verein, dessen Toleranz und direkte gegenseitige Unterstützung für Gruppierungen und Personen aus der Bewegung um Querdenken bis in die jüngere Vergangenheit völlig außer Frage steht.
Auch wenn solche Kontakte aufgrund der veränderten Ausgangssituation nun offensichtlich kaum noch eine Rolle spielen, so ließen sich solche teils offenen Interaktionen bis Sommer 2022 nachweisen. Noch im September vergangenen Jahres unterstützten Mitglieder der Arbeitsgruppe – darunter auch Klaus Stöhr und Schmidt-Chanasit – entgegen der Hinweise die Initiative bei ihrer Arbeit zu Corona.
Einer dieser Kontakte führt direkt aus dem Berliner Landesverband der Initiative Familien zu einer weiteren Initiative um Aya Velázquez. Einer Journalistin, die wiederholt Verschwörungsmythen zum Pandemiegeschehen verbreitete. Nach meinem Wissen war sie ironischerweise die erste Person, die eine Verbindung zwischen Kölbl, Mayer und der chinesischen Regierung zog.
Sie tat dies bereits im November 2020. Viele Monate vor der Berichterstattung der WELT sowie der Gründung der deutschen No-Covid-Gruppe. Aktuell verbreitet Velázquez laut Meinung des Journalisten Jörg Reichel Verschwörungserzählungen zum sogenannten „Sturm“ auf den Reichstag vom August 2020.
Dahingehend überrascht es vielleicht auch kaum, dass einige weiterhin lieber über eine nicht vorhandene No-Covid-Verschwörung reden wollen.
FAZIT / KOMMENTAR: EMBEDDED „NO-COVID“-JOURNALISMUS?
Im März 2022 sprach ZEIT-Herausgeber Giovanni di Lorenzo bei Übermedien von seinem Eindruck, dass es „in anderen Medien, Kolleginnen und Kollegen [gab], die sehr stark in der No-Covid-Bewegung embedded zu sein schienen und für noch strengere Einschränkungen getrommelt haben.“ Allein war di Lorenzo mit dieser Vorstellung wohl eher nicht.
Wieviel von dieser Debatte rückblickend überzogen war – wie etwa der Vorwurf von Thea Dorn in der ZEIT, es handle sich um einen „gefährliche[n] Radikalismus“ – als auch die Sinnhaftigkeit dieser Debatte auf dem Fundament der dem eigenen Weltbild widersprechenden Fakten?
Man sollte auch diese Frage zur Bewertung im Hinterkopf behalten, sollten Mitglieder der Arbeitsgruppe „Corona-Strategie“ von einer Aufklärung der Pandemie sprechen. Oder man überwindet allmählich gemeinsam vermeintliche Gräben, die nur im eigenen Kopf zu existieren scheinen, bevor man sich immer weiter in der eigenen Erzählung verliert. Diese Art der Eigenverantwortung liegt letztlich wirklich bei uns.
Jonas Schmidt-Chanasit ist Mitunterzeichner eines Aufrufs vom Dezember 2022 für einen „zivilisierten Diskurs im öffentlichen Raum und insbesondere in der Sphäre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.